United-Suryoye Archiv

Zoom

Archiv durchsuchen

exakt ähnlich

Geopolitik
Tur Abdin 1993
Zur Lage der Christen im Südosten der Türkei
Von der 'Solidaritätsgruppe Tur Abdin'
Seite 2
Was allein in den Jahren 1992/1993 in dieser Hinsicht im Tur Abdin vor sich ging. 

Das kirchliche Leben heute 
Die Christen des Tur Abdin gehören heute vor allem der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien an, mit der sich die wenigen Christen anderer Kirchen zutiefst verbunden wissen. Der Metropolit Timotheos S. Aktas lebt im Kloster Mor Gabriel. Noch weitere fünf Klöster sind von Mönchen und Schwestern bewohnt und werden von den Christen gerne aufgesucht. Vor allem das Kloster Mor Gabriel ist zu einem Zentrum geworden, das auch ein Internat für Schüler beherbergt. Durch den Neubau des Internates im Jahr 1993 und die Anlage von Gärten und Obstanlagen drückt das Kloster den Willen aus, dass man im Tur Abdin bleiben will. 
Ebenso bilden in den Dörfern der christliche Glaube und der Gottesdienst den Zusammenhalt und die innere Kraft, allem Bedrängnissen standzuhalten. Vereinzelt leben christliche Familien isoliert mitten unter Kurden und bleiben ihrem Glauben treu. 

Die einmalige Bedeutung des Tur Abdin
Der Tur Abdin hat für die ganze christliche Welt und für die Kultur der Menschheit eine einmalige Bedeutung: 

Die Christen des Tur Abdin sprechen einen aramäischen Dialekt (heute meist als Toroyo bezeichnet), weshalb man mit Recht sagen kann: Sie sprechen die Sprache Jesu. Mitten in der arabisch sprechenden Umwelt gibt es nur noch wenige solcher Sprachinseln. 

Sie feiern die Liturgie nach ältesten Traditionen in der altsyrischen Sprache, einer Weiterentwicklung des Aramäischen. 

Sie haben in ihrer leidvollen Geschichte ihre eigene Spiritualität und Theologie bewahrt, die aus den reichen Quellen der Väter schöpft. 

Die Kirchen- und Klosteranlagen stammen weithin aus dem 5. bis 7. Jahrhundert und sind in der Architektur eine eigenständige Tradition. 

Wurde der Tur Abdin als christliches Gebiet verloren gehen, würde die Christenheit und die Welt ein kostbares Erbe verlieren. 

Ereignisse vom Juli 1992 bis Februar 1994 

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 1992 wurden die Bewohner des Dorfes Miden (türkisch: Ögündük) Opfer einer Auseinandersetzung zwischen PKK und Militär auf dem Ortsgebiet. Ein 17jähriger wurde von einem von einer Mauer abprallen Projektil, das aus Richtung eines Militärpostens abgefeuert worden war, verletzt. Drei Männer des Dorfes wurden in einem etwa 10 m² großen fensterlosen Raum vom Militär vorübergehend festgehalten. Durch den Beschuss mit Panzern gerieten Weingärten in Brand. Von Feuerschäden waren letztlich etwa 20.000 Weinstöcke betroffen, nachdem den Dorfbewohnern das Löschen untersagt worden war. 

Am 2. August 1992 fielen Soldaten und kurdische Dorf­wächter in die Wohnung des Dorfvorstehers des Dorfes Deiro da'Slibo (Catalcam) ein. Sie zerstörten Hab und Gut, und die Dorfwächter nahmen Wertgegenstände aus der Wohnung mit. Der Dorfvorsteher und seine Neffe wurden brutal geschlagen und festgenommen. Nach mehreren Tagen Folter im Gefängnis wurden sie wieder freigelassen. 

Anfang September 1992 wurde unter dem Vorwand von Kontakten zur PKK das Haus des Dorfvorstehers von Birguriya von Soldaten und Dorfwächtern gestürmt. Der Dorfvorsteher wurde auf dem Dorfplatz vor den Augen der Einwohner brutal geschlagen und festgenommen. Im Gefängnis von Mardin wurden er gefoltert. Nach zwei Monaten wurde er freigelassen. 

Am 19. September 1992 wurde der christliche Bürgermeister des Dorfes Killit (Dereici) Circis Yüksel von der PKK ermordet. Er befand sich auf der Heimreise in das Dorf, als das Auto an einer von der PKK errichteten Straßensperre angehalten wurde. Er wurde abseits von der Straße erschossen, danach wurden ihm Hände und Füße gebrochen und der Kopf zerschlagen. Yüksel war Inhaber einer großen Weinkellerei in Killit. 

Am 30. Oktober 1992 wurde der 26jährige Naim Demircioglu in Midyat von Soldaten festgenommen. Er wurde beschuldigt, Kontakte zur PKK zu pflegen. Im Gefängnis von Mardin wurde er schwer gefoltert und zur Aussage gezwungen, der PKK Dienste geleistet zu haben. Nach vier Wochen wurde er in das Gefängnis von Diyarbakir verlegt und im Februar 1993 vom Gericht freigesprochen. 

Am 9. November 1992 griffen am späten Nachmittag PKK-Kämpfer den Militärposten im christlichen Dorf Harabale (ücköy) an. Zwei Stunden nach dem Angriff rückte eine Militäreinheit in das Dorf ein, durchsuchte alle Häuser und schikanierte die Einwohner. 

Am 11. November 1992 wurden mittags türkische Soldaten einige Kilometer von dem Dorf Zaz (Izbirak) entfernt von PKK-Kämpfern angegriffen. Danach rückten Soldaten und Dorfwächter in das Dorf ein. Auf der Suche nach PKK-Kämpfern, die ihrer Ansicht nach in das Dorf geflüchtet sein konnten, durchsuchten sie alle Häuser. Die Dorfwächter schlugen die Einwohner brutal, plünderten und raubten Wertgegenstände und das wenige Bargeld, das sie in den Häusern fanden. Auch einfache Jagdgewehre wurden den Christen weggenommen. 

Am 15. November 1992 nachmittags wurde der Fahrer des Klosters Mor Gabriel, als er mit einem Mitfahrer etwa 10 km vom Kloster entfernt eine Autopannen beheben wollte, von Dorfschützern überfallen. Obwohl einer der Dorfwächter den Fahrer erkannte, wurden beide brutal geschlagen und durch die Dornen am Rande des Weges gezogen. Ihre Köpfe wurden mit Füßen getreten. Die Dorfwächter raubten ihr Bargeld und die im Auto liegenden persönlichen Dinge. 

Am 13. Januar 1993 wurden bei einem überfall schwer bewaffneter Männer auf zwei von Christen betriebene Minibusse auf zwei nahe beieinander gelegenen Straßen bei Midyat innerhalb kurzer Zeit fünf Christen und zwei Yezidi getötet. Ein weiterer Christ und zahlreiche Yezidi wurden schwer verletzt. Unter den Ermordeten waren die beiden Fahrer, der Dorfvorsteher des Dorfes Enhil (Yemisli) und zwei in Deutschland lebende syrisch-orthodoxe Christen. 
Augenzeugen berichteten, dass Dorfschützer die Morde begangen haben. Der Anschlag wurde aber von den Behörden der PKK angelastet. Ordentliche Ermittlungsverfahren über die Morde wurden nicht durchgeführt. 

Am 19. Januar 1993 wurden im Dorf Zaz (Izbirak) unter dem Vorwurf, der PKK Lebensmittel gegeben zu haben, drei Männer und eine Frau festgenommen und zur Militärstation von Midyat gebracht. Dort wurden die Männer misshandelt. Die Frau und ein Mann wurden nach etwa zwei Wochen freigelassen, ein weiterer Mann etwas später, während der vierte in das Gefängnis von Mardin kam. In seinem Haus war eine größere Summe Geld gefunden worden. Es wurde behauptet, dass es für die PKK sei. Tatsächlich war es die Kirchenkasse. Er wurde im Sommer 1993 vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Sein Gerichtsverfahren dauert aber an. Im März 1993 haben die letzten drei Familien das Dorf Zaz verlassen, ohne dass sie ihren Besitz mitnehmen konnten. 

Am 21. Januar 1993 wurde das Dorf Salah (Baristepe), in dem noch einige Christen leben, von Soldaten und Dorfwächtern überfallen. Unter der Beschuldigung von Kontakten zur PKK wurden die Dorfbewohner geschlagen und schikaniert. Auch der Mönch des Klosters wurde bedroht. 

Am 25. Januar 1993 durchsuchten Soldaten alle christlichen Häuser des Dorfes Mzizah (Dogancay). Die Bewohner wurden geschlagen und schikaniert. 

Am 6. Februar 1993 wurde ein Minibus, der von der Stadt Midyat kommend in Richtung Zaz und Hah fuhr, durch eine Mine in die Luft gesprengt. Dabei wurden mehrere Menschen getötet, unter ihnen der Christ Görgis Savci aus dem Dorf Hah (Anetli). Der Kaufmann Görgis Savci war eine wichtige Stütze der Gemeinschaft der übriggebliebenen Christen in seinem Dorf und auch der Nachbardörfer. Bei dem Anschlag wurde außerdem Herr Barsavmo aus dem Dorf Gündike schwer verletzt. 

Am 23. Februar 1993 wurde der 24jährige syrisch-orthodoxe Religionslehrer des Dorfes Miden (Ögündük), Lahdo Barinc, bei seiner Rückfahrt von Midyat zu seinem Heimatdorf von schwer bewaffneten Männern aus einem Minibus herausgeholt und entführt. Aus anderen Fahrzeugen wurden außerdem zwei Yezidi entführt. Die vermummten Entführer gaben sich als PKK-Kämpfer aus. Zeugen haben jedoch berichtet, dass die Entführer Dorfschützer und Mitglieder der Hisbollah waren. Von den Dorfschützern eines in der Nähe von Miden gelegenen Dorfes hatte es schon vor der Entführung Drohungen gegeben, dass jemand aus Miden entführt oder ermordet werden sollte. Schon längere Zeit forderten sie dass die Christen, die Ungläubigen (gavur), "abhauen" sollten; denn die Türkei sei ein islamisches Land. 
Dorfbewohner wandten sich wegen der Entführung an die Gendarmerie und an den Landrat, sie erhielten aber keine Unterstützung. Bei der Gendarmerie wurde ihnen gesagt, dass sie sich an die Entführer wenden sollten, bei dem Landrat wurde ihnen gesagt, sie sollten sich ruhig verhalten und nichts unternehmen. Kurze Zeit später wurden die Dorfbewohner von Miden von den Behörden aufgefordert, einen Brief zu unterzeichnen, in dem stand, dass sie keinerlei Probleme hätten und ihre christliche Religion ungehindert ausüben könnten. Der Brief wurde aus Angst vor der Ermordung Lahdo Barincs und weiteren Problemen unterzeichnet. 

Am 13. September 1993 wurde der Religionslehrer von seinen Entführern gegen ein hohes Lösegeld freigelassen. Da während der ganzen Zeit seine Hände gefesselt waren, litt er unter einer Einschränkung der Beweglichkeit der Hände und Arme. 

Am 14. Juni 1993 wurden in dem hauptsächlich von Christen bewohnten Dorf Besbin (Gürmülü) in der Provinz Sirnak wegen des Verdachtes der Unterstützung der PKK sechs Personen festgenommen. Unter den Festgenommenen waren die beiden Christen Hamdi Simsek (63 J.) und sein Sohn Hikmet Simsek (27 J.). Mehr als 5 Wochen lang erhielt Frau Simsek keine Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen. Kurz darauf wurde Hamdi Simsek mit schweren Verletzungen in das Krankenhaus von Silopi eingeliefert. Über seinen Sohn Hikmet gaben die Behörden keine Auskunft. Da die Männer schwer gefoltert wurden, ist zu befürchten, daß Hikmet Simsek durch die Folter getötet wurde. Das Haus der Familie Simsek wurde zerstört. 

Im Juli und August 1993 wurden Bewohner des Dorfes Beth-Kustan (Alagöz) mit der Begründung, Angehörigen der PKK Lebensmittel gegeben zu haben, von Soldaten und Dorfwächtern auf dem Dorfplatz zusammengetrieben und geschlagen. Sie wurden als Armenier bezeichnet und aufgefordert, das Dorf zu verlassen. Ähnliches ereignete sich am 6. August 1993 im Dorf Dirkup, dessen Bewohner ebenfalls zum Verlassen des Dorfes aufgefordert wurden. 

Seit dem August 1993 wird das christliche Dorf Marbobo (Günyordu), in dem noch 13 Großfamilien leben, von einer Gruppe von 20-25 islamitischen Dorfwächtern eingeschüchtert und terrorisiert. Die Christen haben Angst aus dem Haus zu gehen. Die Frauen müssen nach islamischer Sitte Kopftücher tragen. Berichten zufolge kontrollieren die Dorfschützer, wer aus dem Dorf herausgeht und wer in das Dorf hereinkommt. Besucher werden kaum in das Dorf hineingelassen. Nach Protesten wurde die Situation von den Behörden überprüft, aber danach änderte sich nichts. 

Am Nachmittag des 2. September 1993 wurde ein Minibus aus dem Dorf Harabale (Ücköy) in der Nähe des Dorfes Kafro (Elbegendi) abgebrannt. Berichten zufolge wurde der Anschlag von der PKK mit der Begründung durchgeführt, mit dem Minibus seien immer wieder Sachen für die Militärstation in Harabale mitgenommen worden. 

Am 26. Oktober 1993 wurden in dem Dorf Beth-Kustan (Alagöz) Savme Durmaz und sein 15jähriger Sohn Sükrü Durmaz unter der Beschuldigung festgenommen, der PKK Lebensmittel gegeben zu haben. Ihr Haftort wurde nicht bekannt gegeben. Als sich am 30. Oktober 1993 sechs Dorfbewohner und der 10jährige Sohn von Savme Durmaz bei den Behörden nach dem Verbleib der beiden erkundigten, wurden auch sie festgenommen. Alle wurden zwei Tage später freigelassen. Die beiden zuerst Festgenommenen waren in so schlechter körperlicher Verfassung, dass sie nur liegen konnten. Es wurde berichtet, dass sie schwer gefoltert worden waren. 

Am 4. November 1993 wurde den christlichen Bewohnern des Dorfes Hassana (Körsrali) im Kreis Sirnak von Militärs die Forderung überbracht, das Dorf bis zum 20. November vollständig zu räumen. Gleichzeitig wurde der Dorfvorsteher festgenommen. Bei seiner Haftentlassung wurde ihm gegenüber wieder gesagt, dass das Dorf bis zum 20. November verlassen sein müsste, sonst würden die türkischen Sicherheitskräfte in dieser Region gegen die PKK vorgehen und sie könnten nicht für die Sicherheit von Hassana garantieren. Die Dorfbewohner protestierten gegen die Zwangsräumung ihres Dorfes, auch aus Deutschland und Europa kamen viele Proteste; jedoch das Ultimatum wurde nicht aufgehoben. 
Die Dorfbewohner haben am Mittag des 20. November 1993 ihr jahrhundertealtes Dorf verlassen. Kurdische Dorfwächter rissen Fenster und Türen ab und nahmen sie mit, noch bevor der letzte Dorfbewohner das Dorf verlassen hatte. Dadurch sind die Häuser unbewohnbar gemacht. Die Witterung wird die Häuser innerhalb weniger Jahre zerstören. 

Am 29. November 1993 wurde das Fahrzeug, in dem der Dorfvorsteher von Hah (Anetli) Hanna Aydin auf der Strecke von Hah nach Midyat fuhr, durch eine Mine zerstört. Dabei wurde der Dorfvorsteher getötet, zwei weitere Personen wurden verletzt. Der Dorfvorsteher war ein hoch angesehener Mann und er war vor allem der Rückhalt der zehn noch in Hah verbliebenen Familien. Obwohl Kinder von ihm in europäischen Ländern leben und er auch zuletzt ein Jahr vorher zu Besuch in Deutschland war, war er trotz der schwierigen Lage in den Tur Abdin zurückgekehrt. Er hatte den Tur Abdin nicht aufgeben wollen. 

Am 9. Januar 1994 wurde mittags der 60jährige Priester Melke Tok aus Miden (Ögündük) von Unbekannten entführt. Der Priester befand sich nach dem Sonntagsgottesdienst auf dem Weg zu einer Hochzeit in einem PKW auf der Straße von Idil nach Midyat, als sein Fahrzeug kurz nach dem Dorf Be Sorino von einem Fahrzeug ohne Kennzeichen angehalten wurde. Beaffnete Männer zerrten den Priester aus seinem Auto und nahmen ihn mit. Nachdem viele Protestbriefe aus Europa an die türkische Regierung geschrieben worden waren, kam er am Morgen des 13. Januar frei. Bei den Entführern handelt es sich nach unseren Informationen um vom türkischen Staat bezahlte und bewaffnete kurdische Angehörige der Hisbollah. 

Am 16. Februar 1994 wurden der Dorfvorsteher des Oberen Stadtbezirkes von Midyat Yakub Matte und sein 22jähriger Begleiter, Sohn einer alten muslimischen Familie in Midyat, angegriffen und ermordet. Beide waren mit Yakub Mattes Kleinbus auf einer Geschäftsreise unterwegs nach Hasankeyf. Auf dem Rückweg wurden sie nahe dem Dorf Gercüs von bewaffneten Männern angehalten, aus dem Auto gezerrt und in die nahegelegenen Berge gebracht, wo sie durch mehrere Pistolenschüsse in Kopf und Rücken getroffen wurden. Der junge Begleiter war sofort tot. Yakub Matte wurde in das Krankenhaus von Diyarbakir gebracht, wo er am nächsten Morgen seinen schweren Kopfverletzungen erlag. Er hinterläßt Frau und neun Kinder. Die Mörder könnten Angehörige der Hisbollah sein. 

Am 22. Februar 1994 trat der 15jährige Arsan Demir im Dorf Kafro (Elbegendi) beim Viehhüten auf eine Mine und wurde durch die Explosion schwer verletzt. Im Krankenhaus in Diyarbakir musste ein Bein sofort amputiert werden. Das zweite Bein konnte glücklicherweise gerettet werden, weil er innerhalb kürzester Zeit zur Weiterbehandlung nach Europa geflogen wurde.
Weiter Seite 3
Zurück Seite 1