United-Suryoye Archiv

Zoom

Archiv durchsuchen

exakt ähnlich

Leshono
Die Sprache des Tur Abdin, Turoyo und ihre Zukunftsaussichten in der europäischen Diaspora
Dr. Shabo Talay - Erlangen 

1. Die aramäische Sprache in der Geschichte 

Das Aramäische[1], neben dem Griechischen und Chinesischen, die ältestbezeugte und heute noch gesprochene Sprache der Menschheit war fast anderthalb Millennien, von 700 v. Chr. bis zu der islamisch-arabischen Eroberung des Orients im 7./8. Jh. n. Chr., die wichtigste Verkehrs- und Kultursprache im Nahen Osten. Schon in vorchristlicher Zeit stellte das Aramäische keine einheitliche Sprache dar. Mit dem Ende des Persischen Reiches, das in seinem westlichen Teil das Aramäische zur Staats- und Verkehrssprache erhoben hatte, bildeten sich aus den lokalen Mundarten Sprachen heraus, die hauptsächlich als Kanzleisprachen von Stadtstaaten und Königreichen zur Verschriftlichung gelangten. Zu einem gewissen Ruhm kamen davon die Dialekte von Assyrien (Hatra, Assur), Babylonien (Babylonisches Aramäisch, Mandäisch), Palmyra (Tadmor), Obermesopotamien (Urhay /Edessa) im Osten, sowie Nabatäa (Petra), Palästina und Westsyrien im Westen. Größte Ausbreitung erlangte der aramäische Dialekt des kleinen Königreichs von Urhay (Edessa) mit der Christianisierung des Orients ab dem 2. Jh. n. Chr. Das Aramäische von Urhay, das spätere Syrisch, wurde als Kanzleisprache im Königreich der Abgariden erst 132. v. Chr. schriftlich fixiert. In der christlichen Zeit verbreitete es


[1] Zur Verbreitung und Gliederung des Aramäischen: BEYER, Klaus: Die aramäischen Texte vom Toten Meer. Göttingen 1984. S. 23-76 und Die aramäischen Texte vom Toten Meer. Ergänzungsband. Göttingen 1993. S. 12-36.


sich als Sprache der Missionare und der ersten Bibelübersetzungen im ganzen Orient bis nach Mittelasien und verdrängte zumindest als Sprache der syrischen Kirchen alle anderen Sprachen und Dialekte.
Mit dem Aufkommen des Islams im 7. Jh., bei dem das Arabische, die Sprache des Korans, als die heilige Sprache proklamiert wurde, in der Allah zu den Menschen durch seinen Propheten Mohammed gesprochen habe, wurde das Aramäische, im allgemeinen, als gesprochene Sprache immer mehr aus dem Alltag verdrängt[2]. Das Syrische verkam mit der Zeit zu einer reinen Schriftsprache,[3] die nur noch von Klerikern gebraucht und verstanden wurde. Die lokalen aramäischen Mundarten begünstigten die aus der Kirchenspaltung im 5. Jh. resultierende Entstehung von zwei syrischen Sprachformen, dem so genannten Ost- und Westsyrisch. Der größte Einfluss der regionalen Dialekte ist insbesondere in der Lautlehre (Phonologie) zu beobachten, denn die beiden Formen des klassischen Syrisch unterscheiden sich in der Grammatik sonst nur marginal. Der Tigris stellt die Grenze zwischen Ost und West dar.  

2. Die aramäische Sprache heute

Bis heute hat das Aramäische als Sprache von religiösen Minderheiten, hauptsächlich von syrischen Christen (Suryoye), aber auch von Juden und Mandäern, auf Sprachinseln verteilt über den ganzen fruchtbaren Halbmond, überlebt. Diese aramäischen Sprachen und Dialekte bezeichnet man als Neuaramäisch[4]. Im Westen Syriens liegen die drei Dörfer, Ma‘lula, Bax‘a und Jub‘adin, in denen das so genannte Neuwestaramäisch gesprochen wird[5]. Als



[2] Neben dem Syrischen hat nur noch die klassische Sprache der Täufersekte der Mandäer, das Mandäische, aus dem südlichen Babylonien als Schriftsprache das dritte Millennium erreicht.
[3] Deshalb lautet das Syrische heute noch im Tur Abdin: kthobonoyo „Schriftsprache“. Bei den Ostsyrern sagt man +sapraya „Buchsprache“.
[4] siehe dazu: JASTROW, Otto: The Neo-Aramaic Languages. In: Hetzron, Robert (Ed.): The Semitic Languages. London, New York 1998. S. 334-377.
[5]ARNOLD, Werner: Das Neuwestaramäische. Bde. I-VI. Wiesbaden 1989 -.


Neuostaramäisch bezeichnet man alle anderen Sprachen, wie das Neumandäische im Südirak und Südwestiran[6], das Nordostneuaramäische[7] mit vielen unterschiedlichen von Juden und Christen gesprochenen Dialekten im osttigridischen Raum, der bis nach Iranisch-Azerbeidjan reichte und schließlich die Sprache des Tur Abdin, Turoyo und die inzwischen ausgestorbene Mundart von Mlahsô[8], einem Ort nahe der Stadt Lice in der Umgebung von Diyarbakir. Zur Schriftsprache brachte es nur der Dialekt von Urmia, aus dem Bereich des Nordostneuaramäischen, als in der Mitte des 19. Jh. mit Hilfe von amerikanischen Missionaren dieser Dialekt wohl vor allem für Missionszwecke verschriftlicht wurde. Damit war eine neue aramäische Literatursprache geschaffen, in der neben der Bibel auch viele andere literarische Werke, Lexika und Übersetzungen aus der Weltliteratur verfasst wurden[9].Von einer systematischen Verschriftlichung sind alle anderen neuaramäischen Dialekte weit entfernt.  

3. Turoyo

Das Turoyo ist die bis heute fast nur mündlich tradierte Sprache des Tur Abdin im Südosten der Türkei, die seit der Verbreitung des Syrischen in der Einflusssphäre des Westsyrischen war. Deshalb wird oft auch die Bezeichnung ma‘irboyo „westlich“ für Turoyo gebraucht. Im Orient ist das Turoyo schon seit der islamisch-arabischen Expansion im 7. Jh. durch das Arabische, später durch



[6] MACUCH, Rudolph: Handbook of Classical and Modern Mandaic. Berlin 1965.
[7] Das Nordostneuaramäische (NENA) umfasst mehrere Dutzend Dialekte, die zum Teil heute noch nicht erforscht sind. Literaturangaben siehe bei KROTKOFF, Georg: An annotated Bibliographie of Neo-Aramaic. In: HEINRICHS, Wolfhart (ed.): Studies in Neo-Aramaic, Atlanta 1990. S. 3-26.
[8] JASTROW, Otto: Der neuaramäische Dialekt von Mlahsô. Wiesbaden 1994.
[9] MURRE-VAN DEN BERG, H. L.: From a spoken to a written Language. The Introduction and Development of Literary Urmia Aramaic in the Nineteenth Century. Leiden 1995. MACUCH, Rudolph: Geschichte der spät- und neusyrischen Literatur. Berlin 1976.

das Kurdische, immer mehr aus dem Alltag verdrängt worden. Die geographische Verbreitung des Turoyo muss zu früherer Zeit die syrische Gazire und die Mardinebene mit eingeschlossen haben. Bis Ende des 19. Jhs. hat es allerdings nur noch in einigen wenigen Dörfern im Zentrum des Tur Abdin überleben können. Und das auch nur, weil die Suryoye dort als religiöse Minderheit im kurdisch-islamischen Umfeld eine geschlossene Gesellschaft darstellten. Die in Syrien in der Grenzregion zur Türkei lebenden Turoyosprecher (rund 20.000) stammen alle aus dem Tur Abdin und sind erst im Verlauf des 20 Jhs. in diese Gegend emigriert[10].  

4. Die Erforschung des Turoyo 

Die erste semitistische Arbeit über das Turoyo verfassten die deutschen Orientalisten Prym und Socin noch im 19. Jh. Sie sammelten im Orient Geschichten und Anekdoten und veröffentlichten sie mit einer deutschen Übersetzung in den Jahren 1881/82[11]. Auf die Arbeiten von Prym und Socin basierend verfasste Siegel im Jahre 1923 eine diachronische Studie zum Turoyo[12]. Danach ruhte die Turoyoforschung. Erst 1960 bekam Helmut Ritter Kontakt zu Studenten aus dem Tur Abdin in Istanbul, die für ihn Aufnahmen aus verschiedenen Dörfern und aus der Stadt Midyat sammelten. Ritter publizierte diese Materialien in drei Bänden in Transkription mit einer deutschen Übersetzung. Zwei weitere Manuskripte, nämlich ein Wörterbuch und eine Grammatik, konnte er nicht mehr druckfertig vorlegen, bevor er im Jahre 1971 starb. Das Wörterbuch erschien in Faksimile im Jahre 1979, und die Grammatik in Reinschrift im Jahre 1990[13]. In den sechziger Jahren hatte Jastrow


[10] TALAY, Shabo: Die Christen in der syrischen Gazîre (Nordostsyrien). In: Martin Tamcke (Hrsg.): Orientalische Christen zwischen Repression und Migration. Beiträge zur jüngeren Geschichte und Gegenwartslage. Hamburg 2001. S. 17-30.
[11] PRYM, Eugen und SOCIN, Albert: Der neuaramäische Dialekt des Tur Abdin. (2 Bde.) Göttingen 1881.
[12] SIEGEL, Adolf: Laut- und Formenlehre des neuaramäischen Dialekts des Tur Abdin. Hannover 1923.
[13] RITTER, Helmut: Turoyo. Die Volkssprache der syrischen Christen des Tur Abdin. A: Texte (3 Bde.) Beirut 1967-71. B: Wörterbuch. Beirut 1979. C: Verbalgrammatik. Wiesbaden 1990.

durch Ritter Zugang zum Turoyo gefunden und verfasste seine Dissertation über die Laut- und Formenlehre des Dialekts von Midin, die inzwischen in der 4. Auflage erschienen ist[14]. Darauf aufbauend schrieb er im Jahre 1992 ein Lehrbuch des Turoyo für den Gebrauch im akademischen Unterricht[15].  

5. Turoyosprecher in Europa

Seit Ritters Forschungen am Turoyo in Istanbul und Beirut hat sich die Situation der Turoyosprecher dramatisch geändert. Die meisten Turoye, wie die Bewohner des Tur Abdin auch genannt werden, sind aus der angestammten Heimat nach Europa ausgewandert. In der Heimat, wo in den sechziger Jahren noch rund 20.000 Menschen lebten[16], sind heute höchstens 2000 Personen zu finden. Seit den siebziger Jahren suchen die Suryoye des Tur Abdin, zunächst als Gastarbeiter, dann als Asylsuchende in den europäischen Staaten Zuflucht vor Verfolgung und Benachteiligung im Südosten der Türkei[17]. Mit den Suryoye aus dem Tur Abdin kam auch ihre Jahrtausende alte aramäische Sprache nach Europa. Die größte Zahl der Turoye kam nach Deutschland, wo jetzt knapp 50.000 von ihnen leben, andere suchten Zuflucht in Schweden, in den Niederlanden, Belgien, Österreich usw. Insgesamt wird ihre Zahl in Mitteleuropa auf 120.000 - 140.000 geschätzt, über drei Viertel von ihnen sind aramäischsprachig. Damit lebt die Mehrheit der


[14] JASTROW, Otto: Laut- und Formenlehre des neuaramäischen Dialekts von Midin im Tur Abdin. 4. Aufl. Wiesbaden 1993.
[15] JASTROW, Otto: Lehrbuch der Turoyo-Sprache. Wiesbaden 1992.
[16] Zu den syrischen Christen im Tur Abdin siehe: ANSCHÜTZ, Helga: Die syrischen Christen vom Tur ‘Abdin. Eine altchristliche Bevölkerungsgruppe zwischen Beharrung, Stagnation und Auflösung. Würzburg 1985. Und Noch Überlebenschancen für syrisches Christentum auf dem Tur Abdin im Südosten der Türkei? In: Martin Tamcke, Wolfgang Schwaigert, Egbert Schlarb (Hrsg.) Syrisches Christentum weltweit. (Festschrift Hage). Münster 1995. S. 154-163. HOLLERWEGER, Hans: Lebendiges Kulturerbe - Tur Abdin. Linz 1999.
[17] MERTEN, Kai: Die syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei und in Deutschland. Untersuchung zu einer Wanderungsbewegung. Hamburg 1997.

Turoyosprecher in Europa. Sie kamen neben dem Tur Abdin auch hauptsächlich aus Syrien und dem Libanon. Die Kinder und Jugendlichen der Turoyo-Sprachgemeinschaft haben sich in der neuen Heimat kulturell und nicht minder auch sprachlich heute schon an ihre Umgebung assimiliert[18]. Inzwischen sind auch die meisten von ihnen in Europa als Asylberechtigte anerkannt und haben die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Aufnahmelandes angenommen. An eine Rückkehr in die Heimat denkt niemand mehr ernsthaft. 

6. Zustand und Entwicklung des Turoyo in Europa

Da Turoyo nur als mündlich tradierte Sprache in den Westen gelangt ist, muss hier um seine Zukunft gebangt werden. Zumal in Europa die Sprecher zerstreut in verschiedenen Ländern und Städten leben, was die Spracherosion bei der zweiten Generation stark begünstigt. Schon im Kindergartenalter lernen sie hier die jeweilige Landessprache und spätestens mit dem Eintritt in die Schule beherrschen sie die Sprache ihrer Eltern nur noch passiv. Die Kirchen- und Laienorganisationen haben sich bis jetzt auf die neue sprachliche Situation nicht eingestellt. Sie gehen heute noch davon aus, dass ein Kind im Elternhaus seine Muttersprache erlernen wird. In der Heimat waren die aramäischsprachigen Dörfer rein christlich, größtenteils war die Dorfbevölkerung sogar miteinander verwandt, so konnte ein Kind in einer rein aramäischsprachigen Umgebung aufwachsen. Erst in der Schule kam das Kind in Kontakt mit einer anderen Sprache, wie dem Türkischen[19]. Außerhalb der Schule lebte es wieder in der Welt der aramäischen Sprache. Im Dorf wurde Turoyo gesprochen, geschrien,


[18] ACAR, Hüsnü: Menschen zwischen Kulturen. Aramäische Jugendliche in Deutschland. Paderborn 1997. Neben der o.a. Arbeit von MERTEN liefert diese Studie von ACAR genaue Informationen zu der allgemeinen, zum Teil auch sprachlichen Situation der aramäischen Jugendlichen in Deutschland. 
[19] In der neuen Heimat stellt die erste Generation ebenfalls eine quasi geschlossene Gesellschaft dar, da sie sich nicht in die europäische Gesellschaft integrieren konnte. Deshalb spricht die erste Generation ausschließlich aramäisch zu Hause.

gespielt, geschimpft und geflucht. Auf diese Weise konnte auch in der neueren Geschichte des Tur Abdin die Sprache gelernt und weitergegeben werden. Es bedurfte keiner schulisch-pädagogischen Unterstützung. 

Dagegen beginnt ein in Europa geborenes Kind aus einem turoyosprachigen Elternhaus schon mit drei Jahren im Kindergarten die jeweilige Landessprache zu lernen. Nicht nur im Kindergarten, sondern vor allem durch die zahlreichen Kindersendungen im Fernsehen und auf der Straße hört es nur die europäische Sprache. Auch wenn seine Eltern es nur aramäisch erziehen, kann es ihre Sprache nur noch schwer lernen, weil es die Sprache der Eltern auf dem Spielplatz und anderswo außerhalb der Familie nicht nutzen kann. Schon für die Erklärung einfacher Sachverhalte im Kindergarten reicht der Wortschatz seiner Eltern nicht aus, also behilft es sich mit der europäischen Sprache. So antwortet ein in Deutschland aufwachsendes Kind auf die Frage der Mutter: aykowayt? „Wo warst du?“ mit: azzino l-u=Spielplatz w simli spielen ‘am a=Freunde-zi „ich ging zum Spielplatz und spielte mit meinen Freunden“. 

Die Sprache der Kinder ist durchsetzt mit den europäischen, hier deutschen Ausdrücken. Diesen Umstand nennt man in der Sprachwissenschaft Code-switching und dies ist vor allem bei Sprechern von Minderheitensprachen zu beobachten[20]. Neben Morphologie, Lexikon und Syntax ist insbesondere die Phonologie starken Veränderungen unterworfen. Charakteristische Phoneme des Turoyo, die in der europäischen Sprache nicht belegt sind, können nur schwer ausgesprochen werden, so dass beispielsweise die interdentalen Spiranten /th/ und /dh/ in der Regel zu Sibilanten verschoben werden: tlotho wird zu tloso „drei“; didhan zu dizan[21] „unser“, und die Kehllaute /?/ und /‘/ zu /x/ bzw. /gh/ velarisiert: la?mo wird zu laxmo „Brot“ und ‘edho zu ghezo „religiöses Fest“.


[20] Wenn man die Sprache der Kinder genauer betrachtet, sieht man, dass auch bei den europäischen Kindern die Sprache mit Modewörtern und Fachbegriffen aus anderen Sprachen (beispielsweise in der Computerbranche aus dem Englischen) durchsetzt ist.
[21] Die Eltern beklagen sich oft, ihre Kinder seien alle „Qusnoye“ geworden. In Bequsyone, einem kleinen Dorf im Tur Abdin werden die Interdentale als Sibilanten artikuliert, worüber viel gespottet wurde.

Bei vielen wird auch das gerollte Zungenspitzen /r/ zum Velaren Frikativ /gh/, wie es im Deutschen oft der Fall ist: rabo wird zu ghabo "groß". 
Weitere interessante Veränderungen in der Sprache der Kinder und Jugendlichen:

1. Verbum
Oft taucht anstelle des aramäischen Verbs die Verbalkonstruktion mit dem aramäischen Hilfsverb soyém "machen" + deutschem Verb im Infinitiv auf:
- heute asi u=Lehrer-ezan u mélle: morgen gsaymina eine Klassenarbeit  schreiben 
heute kam unser Lehrer und sagte: Wir werden morgen eine Klassenarbeit schreiben 
- bi-kelike mérleli, kosoyém Simpsons anschauen 
gerade vorhin hat er mir gesagt, er schaue die Simpsons an 
- azzino lu Spielplatz w sémli spielen ´am a=Freunde-zi 
ich ging zum Spielplatz und spielte mit meinen Freunden 

2. Lexikalisches  - kétlan so 'ne Nebenhalle, kiba xd u-Zimmer-ano 
wir haben so eine Nebenhalle, sie ist so groß wie dieses Zimmer 

3. Kopula 
- ne latwa schlecht  ne, es war nicht schlecht 
- doch schlecht-wa  doch, es war schlecht 
- hano niks gut-yo  das ist nicht gut 
- zuhause-ne  sie sind zu Hause 

4. Lehnübersetzungen 
- klay a´li doseno onoze lu-Fußball (st.: ntarli, klay li-heviyedhi)
warte auf mich, ich komme auch Fußball (spielen) 
- tayimono (st.: matémli) ich bin fertig 
- kosamno maktab (st.: kézzi lu-maktab) ich mach` Schule

Schon an diesen einfachen Beispielen zeigt sich, warum die sprachliche Entwicklung des Turoyo in Europa jedem von uns Sorgen bereiten müsste, denn seine Zukunft scheint mehr als düster zu sein. In der Einleitung seines Lehrbuchs der Turoyo-Sprache schreibt Jastrow 1992 dazu "So ist zu befürchten, dass die allmähliche Erosion des Turoyo ungehindert fortschreitet und dass die Sprache irgendwann im nächsten Jahrhundert aussterben wird (S. 4)." Da die Zukunft des Turoyo in der angestammten Heimat nicht gesichert ist und die meisten Sprecher sich im Westen aufhalten und hier eine neue Heimat gefunden haben, muss hier gegen diese „allmähliche Erosion“ und das Verschwinden, oder brutaler, Aussterben dieser Sprache angekämpft werden. Es sind im 20. Jh. genug aramäische Dialekte ausgestorben.Wer oder besser was wird gegen das langsame Verschwinden des Turoyo getan?
Es ist klar, dass nur die Turoye, also wir, die Turoyosprecher, für eine Belebung unserer Sprache sorgen könnten. Jedoch vertreten die meisten von uns die Meinung, dass die Pflege der Sprache allein Sache der Kirche ist. Auch die in Europa gegründeten zahlreichen kulturellen und politischen Organisationen konnten an dieser allgemein gültigen Meinung nichts verändern. So pflegt die Kirche das Turoyo in ihrer Art und Weise, wie seit Jahrhunderten im Tur Abdin: Beim Gottesdienst werden die Passagen der Liturgie, die das Volk direkt betreffen in der Regel auch ins Turoyo übersetzt. Darüber hinaus hat die Kirche keinen Versuch unternommen, das Turoyo zu fördern. Sie hält am Syrischen als Sprache der Kirchenväter fest, und unterrichtet es in ihren madrashyothe „Kirchenschulen“. Den Bedarf, auch Turoyo in diesen Schulen zu unterrichten, sieht sie nicht, da die meisten Verantwortlichen, nicht nur Kleriker, Turoyo als eine minderwertige, verwilderte Form des Syrischen ansehen. Deswegen wird, abgesehen von wenigen Ausnahmen, das Turoyo einfach umgangen, beziehungsweise totgeschwiegen. Die meisten Leute innerhalb der syrischen Kirche, auch Turoye, die sich mit der Sprache beschäftigt haben, bezogen sich auf das Syrische. Und wenn es heißt, „wir müssen unsere Sprache pflegen und lernen, weil sie eine Voraussetzung für das weitere Bestehen unseres Volkes als Nation ist“, dann ist in der Regel auch das Syrische und nicht die gesprochene Sprache gemeint. (Eine einzige Arbeit wurde bis jetzt dem Turoyo gewidmet, das ist ein syrisch-turoyo-syrisch Wörterbuch von Asmar alKhoury und Jakob Kyrillus[22]). 


[22] KYRILLUS, Jacob and ELKHOURY, Asmar: The Guide. The First Literary-Colloquial Syriac Dictionary. Stockholm 1985. In den letzten Jahren sind viele Lieder und Gedichte auf Turoyo verfasst worden, die man allerdings nur auf Tonträgern, nicht aber in geschriebener Form veröffentlicht hat. Hinzu kommt die Turoyo-Übersetzung der vier Evangelien in syrischen Lettern, die bei der UBS (United Bible Society) in den USA erschienen ist.

7. Unterricht an den Kirchenschulen

Das Unterrichtsmaterial der so genannten madrashyothe hat seit den sechziger Jahren das Ziel, das Syrische nicht nur als klassische Kirchensprache, sondern auch als Umgangssprache zu unterrichten. Dass es eine gesprochene Sprache gibt, die ebenfalls gelernt werden sollte, interessierte die Verfasser von Anfang an nicht. Die Unterrichtsreihen von Abdulmasih Qarabashi in Qamishli/Syrien[23], Yuhanun Qashisho (safro tobo) in Södertälje/Schweden, Barsom Dag in den Niederlanden und auch Suloqo von Abrohom Nuro[24] möchten den Kindern das klassische Syrisch als Sprache für den täglichen Gebrauch beibringen. Die von Abrohom Nuro 1997 vorgelegte Arbeit „Tawldotho or Syriac Neologisms“[25] verfolgt dasselbe Ziel. Deutlich wird dies natürlich durch die neueren in Europa erschienen Wörterbücher zum Syrischen, wie das erst im vergangenen Jahr erschienene Wörterbuch „Aramäisch-Deutsch, Deutsch-Aramäisch“ von Aziz Bulut und Sabo Hanna[26] zeigt. Diesem Wörterbuch kann die Auffassung der Verfasser entnommen werden, das Syrische sei mit dem Turoyo identisch: Im Vorwort heißt es: „Da die Syro-Aramäer (Suryoye) keinen eigenen Staat und Institutionen haben, die den Erhalt ihrer Sprache pflegen, versucht man auf diesem Wege ein Wörterbuch in der eigenen Muttersprache ... herauszugeben, um diese Sprache, genauer gesagt das Turoyo, das eine spätere Entwicklung des Syrischen ist, vor dem Aussterben zu bewahren“. Dabei handelt es sich auch bei diesem Wörterbuch sicherlich nicht um ein turoyo-deutsches, sondern um ein (klassisch) syrisch-deutsches Wörterbuch, und wie auch seine Vorgänger bietet es meines Erachtens ebenfalls keinen nennenswerten Beitrag gegen die Erosion des Turoyo.

8. Positive Impulse zur Entwicklung des Turoyo in Europa


[23] QARABASHI, Abdulmasih: Herge d'qeryono. (Insgesamt 6 Übungshefte und eine Grammatik. In Qamishli/Syrien 1967-1975 für die Schulen der syrisch-orthodoxen Kirche (1.-6. Klasse) konzipiert). [24] NURO, Abrohom: Suloko. Book 1. Hengelo 1989. [25] NURO, Abrohom: Tawldotho or Syriac Neologisms. Principles-Criteria and Examples. Aleppo 1997. [26] BULUT, Aziz und HANNA, Sabo: Wörterbuch. Aramäisch-Deutsch, Deutsch-Aramäisch. Heilbronn 2000.

Obwohl es nicht einmal in den großen Zentren, wo viele turoyosprachige Familien eng beieinander leben, wie in Schweden (Södertälje, Göteborg, Norrkoping), den Niederlanden (Enschede) sowie in Deutschland (Augsburg, Gütersloh, Gießen, Wiesbaden) Institutionen gibt, die Turoyo systematisch fördern, gibt es vom Turoyo in Europa auch erfreuliches zu berichten, wie z.B.: 

  1. In Europa wurden viele Musikgruppen gegründet, die nicht mehr wie in der Heimat türkisch, arabisch oder kurdisch, sondern turoyo singen. Bei den Hochzeiten und Kulturabenden treten diese Gruppen auf und singen ihre aramäischen Lieder, zu denen insbesondere die Jugendlichen tanzen. 
  2.  
  3. In Schweden haben die assyrischen Vereine mehrere Dokumentarfilme über die Kultur und Geschichte der Suryoye auf Turoyo gedreht. Zu großer Beliebtheit gelangte der Spielfilm Holo Malke bi Golutho „Onkel Malke in der Diaspora“ von Georg Farag. Dieser bis heute einzige Spielfilm auf Turoyo behandelt fast alle Problembereiche der Gemeinschaft der Suryoye im europäischen Ausland und propagiert gleichzeitig die assyrische Idee. 
  4.  
  5. In allen Volksvereinen haben sich auch kleine Theatergruppen formiert, die ihre zumeist einfachen Stücke auf Turoyo aufführen. 
  6.  
  7. In Gegenden, in denen syrische Christen, die nicht aramäischsprachig sind, mit Turoyosprechern zusammenleben, haben viele, die früher zuhause arabisch, kurdisch oder türkisch sprachen heute turoyo gelernt und wenden es mit Stolz an. 
  8.  
  9. In zahlreichen Zeitschriften werden Gedichte auf Turoyo in syrischen Lettern publiziert. Die regelmäßig erscheinende Zeitschrift Nsibin, herausgegeben von Jan Bet-Sawoce in Södertälje (Schweden), verwendet sogar die lateinische Umschrift dafür. 
  10.  
  11. In Schweden wurde Anfang der achtziger Jahre der muttersprachliche Unterricht an den öffentlichen Schulen eingeführt. Da Turoyo eine schriftlose Sprache ist, wurde eine eigene Kommission eingesetzt, um ein auf die Umschrift der Orientalisten basierendes Alphabet zu entwickeln und Lehrmaterial zu erarbeiten. 1983 gab die Kommission unter der Leitung von Dr. Yusuf Ishaq das erste Turoyo-Lesebuch mit dem Titel Toxu Qorena „Kommt lasst uns lesen“ für die Volkschule heraus. Dieses Projekt, das sehr produktiv gearbeitet hat und heute noch seine Arbeit fortsetzt, hatte von Anfang an ein Manko. Es wurde sowohl von den Kirchen, als auch von den politischen Organisationen bekämpft, weil es die Lateinschrift benutzt. 
  12.  
  13. Die Bemühungen um die Wiederbelebung des klassischen Syrisch wirkten sich auch auf die Anwendung des Turoyo positiv aus. Vor allem die vielen Neologismen von Abrohom Nuro (s.o. Fußnote 25), die er zu allen Bereichen des Lebens in der industrialisierten Welt gebildet hat, haben den Turoyowortschatz bereichert und werden insbesondere von den Intellektuellen angewendet. Das Eindringen der Neubildungen ins Turoyo wird durch die Arbeiten der politisch-kulturellen Organisationen gefördert. 
  14.  
  15. Schließlich seien die Turoyo-Sendungen auf Medya-TV und Assyria-TV und einige Radiosendungen in den verschiedensten Ländern Europas erwähnt, deren Programme hauptsächlich in einer standardisierten Form des Turoyo ausgestrahlt werden.  

9. Schlussfolgerung

Um all diese positiven Impulse, die das Turoyo in Europa erfahren hat zu verstärken und damit insbesondere die Kinder und Jugendlichen zu erreichen, ist folgendes erforderlich: 

  1. Als erstes müssen unsere kirchlichen und politisch-kulturellen Organisationen die Theorie aufgeben, Turoyo sei ein verwildertes, durch türkische, kurdische und arabische Lehnwörter verunstaltetes Syrisch. Sie müssen zu der Einsicht gelangen, dass das Turoyo für die meisten aus dem Tur Abdin stammenden Suryoye, Träger der Kultur und Identität ist.
  2.  
  3. Es muss allen klar werden, dass die bisherigen Methoden des muttersprachlichen Unterrichts an den öffentlichen Schulen und Kirchenschulen nicht ausreichen, um den hier geborenen Kindern aktive Sprachkenntnisse in Syrisch oder Turoyo zu vermitteln.
  4.  
  5. Es sollte bald damit angefangen werden, die wirkliche Muttersprache der meisten Suryoye in Europa, das Turoyo zu unterrichten. Dafür muss natürlich genauso systematisch vorgegangen werden, wie beim oben genannten Projekt des schwedischen „National Board of Education“. Es muss für Kinder, Jugendliche und Erwachsene angemessenes Lehrmaterial geschaffen werden. Obwohl sich das lateinische Schriftsystem günstiger auf das Erlernen des Turoyo hier auswirken würde, müsste meines Erachtens auf die syrischen Lettern als Schrift zurückgegriffen werden. Denn es gibt innerhalb der Turoyosprecher zur Zeit keine Mehrheit für den Gebrauch der Lateinschrift. 
  6.  
  7. Es sollten einfache und leicht zu benutzende Lese-, Übungs- und Wörterbücher für Turoyo geschrieben werden, die auch von Kindern und Jugendlichen genutzt werden können. Gleichzeitig ist die Wissenschaft aufgefordert, ein umfassendes Turoyo-Wörterbuch zu schreiben, um alle Bereiche des Turoyo zu erfassen.
  8.  
  9. Wir brauchen einen Kern an Turoyosprechern unter den Jugendlichen, die für die Verbreitung des Turoyo unter ihren Altersgenossen als Multiplikatoren dienen können. Diese müssen in jeder größeren Gemeinde der Suryoye in Deutschland durch Sprachkurse die Möglichkeit bekommen, ihre Turoyo-Kenntnisse zu verbessern und vertiefen. Dafür brauchen wir zentral organisierte bzw. gesteuerte Schulungen, die mit angemessenen Lehrmaterialien ausgestattet sind. 
  10.  
  11. Für den Erhalt und der Verbreitung des Turoyo bedarf es aber auch multimedialer Unterstützung. Es müssten also Zeichentrickfilme und auch normale Spielfilme produziert werden, die sowohl den Kindern als auch den Älteren den Zugang zu Turoyo erleichtern.

Zum Schluss sei hier ausdrücklich gesagt, dass das Turoyo auch für die Zukunft des Syrischen eine große Rolle spielt. Es ist doch uns allen klar, dass nur dort, wo Neuaramäisch gesprochen wird, auch das Syrische gepflegt wird. Dagegen ist das Interesse für das Syrische bei den Suryoye, die nicht aramäischsprachig sind, ziemlich gering. Die gesprochene Sprache schützt also auch die Schriftsprache vor dem Vergessen, sie trägt und bereichert sie.

Darüber hinaus hängt auch unsere Identität und das Recht für ihr Bestehen am Vorhandensein der gesprochenen aramäischen Sprache. Wenn wir unsere Sprache verlieren, wird uns automatisch das Fundament unserer ethnisch-nationalen Identität abhanden kommen. Deshalb hoffe und wünsche ich, dass die Turoye aufwachen, bevor ihre aramäische Muttersprache, wie die Titanic, im europäischen Sprachenmeer von der Oberfläche verschwindet.